Max (Name von der Red. geändert) hat aktuell nur sehr wenige Erfolgserlebnisse. Er fühlt sich abgeschrieben von der Schule, zu Hause gibt es oft Streit mit seiner Mutter und der Schwester. Kurzum: Nichts läuft, wie es laufen sollte. Unter den Streitigkeiten leidet die ganze Familie – nicht nur Max. Aber er ist der Symptomträger, der auffällt, der der die Schule schwänzt, klauen geht, Ärger mit anderen Jugendlichen sucht usw.

Kaum jemand scheint bisher nach Max Talenten und Ressourcen gefragt zu haben. Interesse an ihm besteht auch nicht. Viel mehr lag der Fokus auf seinen Defiziten und seinem auffälligen Verhalten, welches jeweils ausschließlich mit Strafen sanktioniert wurde, die ihn nicht wirklich erreichen oder geschweige denn berühren konnten. 

Wir von „Kurve kriegen“ haben relativ schnell festgestellt, dass Max kaum spricht und nichts von sich preisgeben möchte. Er hat sich von seiner Außenwelt nach und nach zurückgezogen und lebt in seiner eigenen „Bubble“. Wie, so unsere Frage, kann es uns gelingen, mit dem wortkargen, verschlossenen und von vielen Enttäuschungen geprägten Jugendlichen positiv in Kontakt zu treten. Mut machen und Erfolgserlebnisse ermöglichen, trotz seiner Verschlossenheit und der damit verbundenen Schwierigkeit, mit ihm überhaupt in irgendeine Form der Beziehung zu gelangen. 

Da bei Max zuhause mitunter auch ein Hund lebt und er sich tierlieb zeigt, kamen wir auf die Idee, mit Max und seiner Familie eine Alpakafarm zu besuchen, wo Wanderungen und Kontakt mit den Tieren angeboten werden. Einerseits bestand das Ziel darin, der Familie grundsätzlich ein gemeinschaftsstiftendes und positives Erlebnis zu bescheren und andererseits sollte dadurch auch ein Raum für Anerkennung und Erfolgserlebnisse geschaffen werden. Darüber hinaus der Ansatz, Max erstmals über einen anderen – tiergestützten – Zugang zu erreichen.  

Kurve Kriegen Gütersloh - Alpakas

Als die Tiere durch das Gatter gelaufen kamen, wurde allen etwas mulmig. „So klein sind die ja gar nicht“ stellten wir fest und Max erhielt die Aufgabe, das Alpaka mit dem Namen „Khalahari“ anzuhalftern. Na hoffentlich geht das gut, dachten wir alle. Max Schwester Mia (Name von der Red. geändert), wurde zu Beginn etwas nervös, was sich jedoch im weiteren Verlauf des Tages rasch wieder legte. 

Statt mit Sorge überzog sich Max Gesicht auf einmal mit Freude und er strahlte. Das Eis zwischen Max und seinem Alpaka war sofort gebrochen und er zeigte auf Anhieb eine große Nähe zum Tier. Er streichelte „Khalaharis“ Hals und lachte dabei begeistert. Und obwohl die Anhalfterung eines Alpakas einiges an Konzentration erfordert, erledigte Max dies geschickt und zügig.  

Alpakas sind freundliche und neugierige Tiere, die jedoch auch über einen ausgeprägten eigenen Willen verfügen. Dadurch lassen sie einem unmittelbar die Konsequenz des eigenen Handelns spüren, was sie zu großartigen Tieren für die pädagogische Arbeit macht.

Als die Tiere angehalftert waren, ging es los. Die Familie wanderte, je mit einem Alpaka an der Leine, für etwa fünf Kilometer durch Wälder und über Wiesen. Keine Ablenkung, nur die Alpakas und die Natur. Das Handy kam nur ein einziges Mal aus der Tasche um Fotos zu machen. Es gab keinen Streit und kein Gemecker. Im Gegenteil, es wurde normal miteinander geredet, gelacht, gegenseitiges Lob ausgesprochen wie auch Bewunderung geäußert: „Boah- wie hast du das so schnell angehalftert?“ „Mama kannst du mal helfen?“  

Max wirkte in diesem Kontext plötzlich gar nicht mehr ablehnend, negativ oder distanziert, sondern positiv gestimmt und glücklich. 

Auch Fütterung und Stallbesichtigung standen noch auf dem Programm. 

Max und seine Familie wirkten freudig. Sie durften wieder mal einen Tag ohne Streitereien, Ärger und Stress erleben. Sie konnten – im Gegenteil – Glücksgefühle und eine positive Selbstwirksamkeit erfahren. Auf der Heimfahrt war die ganze Familie müde von den ganzen Eindrücken und Erfahrungen, aber zufrieden.  

Auch im Nachhinein zeigte sich die Familie aufgeschlossen und Max war für unsere pädagogischen Angebote zugänglicher. Eine erste Hürde für die Betreuung durch „Kurve kriegen“ schien geschafft und lässt uns zuversichtlich auf den weiteren Prozess mit Max und seiner Familie blicken.