Potrait Kinderkopf mit geschlossenen Augen

Tim* (Name und Sozialdaten geändert) gilt als traumatisiertes Kind. Beschäftigt man sich etwas eingehender mit seiner Biografie wird auch schnell klar warum. Vermutlich wurde er schon in seiner frühesten Kindheit misshandelt, unterversorgt, psychisch- wie physisch vernachlässigt und es gibt auch Hinweise auf sexuellen Missbrauch. Tim ist – nach einigen Jahren bei einer Pflegefamilie - derzeit in einer Wohngruppe untergebracht. Er war schon sehr früh auffällig in seinem Verhalten, war selbst- und fremdaggressiv und zeigte kaum Mimik. Außerdem war er stark fixiert auf Lebensmittel. Schon seit dem Kindergartenalter ist Tim in psychologischer Betreuung und ein IQ Test ergab vor einigen Jahren einen unterdurchschnittlichen Wert. Außerdem wurde eine Aktivitäts – und Aufmerksamkeitsstörung diagnostiziert. Im letzten Jahr wurde Tim in „Kurve kriegen“ aufgenommen.

Die aktuelle Wohngruppe beschreibt Tim als ein Kind bzw. einen Jugendlichen, der nach sofortiger Befriedigung der eigenen Bedürfnisse verlangt. Geschieht dies nicht, ist er unzufrieden und zeigt respektloses und abwertendes Verhalten. Allgemein würden seine Stimmungen stark und teilweise schlagartig schwanken, ohne von außen erkennbare Gründe. Diese Ambivalenz manifestiere sich auch in seinem Auftreten, das in seinen extremsten Ausprägungen von einem sehr kleinkindlichen, sich mit Kuscheltieren umgebenden und bedürfnisorientierten Verhalten bis zu einem vermeintlich distanziert-coolen, respektlosen und provokanten Gebaren eines Jugendlichen reiche. Diese Extreme würden sich teilweise mehrmals täglich abwechseln.

Es seien, so führt die Wohngruppe aus, durchaus kleine Fortschritte erzielt worden, die sich in seinem Sozialverhalten zeigen. Allerdings würden diese gefühlt überlagert von seinen Rückfällen in ältere- und höchst dysfunktionale Verhaltensweisen. Dadurch entstehe bisweilen der Eindruck, man drehe sich mit Tim im Kreis oder auf einen Schritt vorwärts würden zwei Schritte zurück folgen. Er habe keine echten Freunde und suche in der Gruppe oft auch den Kontakt zu jüngeren Kindern.

Tim wird jedoch seitens der Wohngruppe auch als hoch kreativ beschrieben und diese Kreativität würde er ausdauernd, leidenschaftlich und ideenreich ausleben. Das zeige sich beispielsweise auch in seinem Spiel mit Lego. Die Traumatherapie als solche wurde mittlerweile beendet, da Tim sich nicht darauf einlassen konnte. Er ging zwar zur Therapeutin, wollte dort jedoch mit ihr spielen und wenn es nicht so lief, wie er sich das vorstellte, dann konnte er auch durchaus mal eine Stunde schweigen.

Und jetzt? Was kann Kurve kriegen hier noch ausrichten?

Die frühen Erfahrungen von traumatisierten Kindern sind von Unsicherheit, Schutzlosigkeit, Ohnmacht, Furcht gepaart mit Todesangst, Demütigung, Wut und Kontrollverlust geprägt.

Zu den übergriffigen und vernachlässigenden Erwachsenen von früher besteht in der neuen Lebenssituation von Tim kein Kontakt.

Er erfährt mehr Schutz und Sicherheit. Die früheren Erfahrungen, seine Gefühle und Körperempfindungen bleiben indes. Seine Beziehung zu seinen Bezugspersonen, sowohl in der Wohngruppe als auch zu mir im Rahmen von „Kurve kriegen“ ist stets durch die Präsenz der traumatischen Erfahrungen und Beziehungsabbrüche geprägt.

Kann man mit solchen Kindern überhaupt kriminalpräventiv arbeiten?

Gereichte Hände

Kurz und knapp; Ja!

Nach nunmehr vier Monaten konnte ich als PFK eine vertrauensvolle Beziehung zu Tim aufbauen.

Ich stehe auch in engem Austausch mit der Bezugsbetreuerin der Wohngruppe wie auch seiner Lehrerin.

Tim und ich arbeiten an einem inneren sicheren Ort, wir haben eine eigene Superkraft geschaffen (der Geheimagent der fliegen kann), einen „1. Hilfe Koffer“ der ihm helfen soll, besser mit Krisen und Belastungen umzugehen, sowie ein Notfallkoffer für die Seele der von ihm ausgesuchte Gegenstände enthält. Dinge, welche die gustatorische, die auditive, olfaktorische und visuelle Wahrnehmung ansprechen.



Aktuell erarbeiten wir Skills zur Impulsregulation. Tim neigt zu kleineren Diebstählen, in der Regel sind das Lebensmittel oder aber er stiehlt Geld, das er dann dafür ausgibt. Dies kann durchaus typisch sein für traumatisierte Kinder, die in der Vergangenheit unterversorgt waren.

Er berichtet eindrücklich es seien 2 Kräfte in seinen Kopf, ähnlich wie ein Engelchen und ein Teufelchen, die in bestimmten Situation miteinander rangeln.  Bisher gewinnt meist das Teufelchen, es unterdrückt das Engelchen.

Eine schöne bildliche Beschreibung die es aufzugreifen gilt.

Die mögliche Intervention:

Tim hat sich drei kleine Ministofftiere, die er später an seinen Rucksack oder an den Schlüsselbund hängen kann, ausgesucht.

Einen Löwen, stellvertretend für das Teufelchen und zwei Küken, die für das Engelchen stehen.Diese hat er im Vorfeld gezeichnet, in Imaginationsübungen gibt er den Stofftieren Kräfte.

Ziel ist, dass die Kräfte der Küken natürlich die Kräfte des Löwen aushebeln. Ein innerer Dialog, der - wie Tim das beschrieben hat - stattfindet und dessen Ausgang wir durch Imaginationsübungen positiv beeinflussen. Das kann er dann verinnerlichen.

Dies ist exemplarisch eine Darstellung möglicher Ansätze / Herangehensweisen, um mit einem traumatisierten Kind oder Jugendlichen zu arbeiten. Durch meine traumapädagogische Ausbildung die ich derzeit absolviere, erweitere ich meinen persönlichen Methodenkoffer kontinuierlich und selbstverständlich fließen diese Skills auch wieder direkt in die Arbeit mit Tim oder anderen traumatisierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Dies zeigt, dass eine persönliche stetige Weiterbildung der PFK die Handlungsmöglichkeiten und vor allem auch die Zielgruppe der Initiative „Kurve kriegen“ erweitern kann.