Außenansicht der JVA Bochum

Am 24.03.2023 waren einige Teilnehmer aus den beiden „Kurve kriegen“ Standorten Bochum und Recklinghausen im Rahmen des Projekts „Gefangene helfen Jugendliche“ zu Gast in der JVA Bochum.

Direkt zu Beginn war es eindrucksvoll zu erleben, mit wie viel Aufwand ein solcher Besuch in einer JVA verbunden ist: Eingangskontrollen mit Taschenkontrolle und der Abgabe von Gürteln (die wegen Suizid-Gefahr durch große Taschentücher ersetzt werden). Erwähnenswert an dieser Stelle; Gürtel sind ein nicht unwichtiges Accessoire im Rahmen der modernen „oversized“ Mode der Jugendlichen.



Dirk Michgehl war als Organisator des Vereins „Gefangene helfen Jugendlichen“ dabei, hinzu kamen zwei Kolleginnen vom Sozialdienst der Anstalt sowie drei Justizvollzugsbeamte und neun Häftlinge.



Bei der Besichtigung wurden wir durch unterschiedliche Bereiche geführt, angefangen bei den Duschen. Jeder Gefangene hat dafür ein Zeitkontingent von 15 Minuten – und zwar jeweils nur zwischen 7 und 8 Uhr morgens. Der Hof ist von hohen Mauern begrenzt und von Kameras überwacht. Generell wurde in sehr eindrücklicher Weise deutlich, wie vollumfänglich die Kontrolle ist und den Insassen ihre Selbstbestimmung mit Betreten der JVA mehr oder weniger abgenommen wird.



Schnell wird klar; wer etwas will, muss sich selbst darum bemühen. Weder Mutter noch Freundin werden erledigen, was man(n) liegen gelassen hat: „…dann müssen Sie sich informieren und selbst darum kümmern. Antragsformulare erhalten Sie von uns.“



Nahezu jeder Einblick war eine kleine Grenzerfahrung, so z.B. die erwähnten alternativen „Gürtel“- Taschentücher. Diese wurden ziemlich sicher bereits hunderte Male gewaschen und dürften zuvor mit jeder erdenklichen Körperflüssigkeit in Berührung gekommen sein. Für unsere Teilnehmer eine echte „Ekel-Grenze“, die sich bei der Ausgabe von Besteck, Geschirr, Kleidung usw. immer wieder von neuem zeigte. Alles ist stark gebraucht bis verschlissen und teilweise mehrfach geflickt. Status durch Markenklamotten? Ausdruck eines eigenen Stils? Auswahl? Die passende Kleidergröße? „Verabschiedet Euch von dem, was ihr bisher kennt!“ war hier die Kernaussage. Eine schreckliche Vorstellung für die Jugendlichen.



Viel Zeit wurde im Gesprächskreis verbracht. Jeder einzelne Teilnehmer wurden von einem Insassen flankiert, wodurch sich niemand von ihnen in die „Sicherheit der Gruppe“ zurückziehen konnte. Es wurden Karten mit unterschiedlichsten Straftaten in die Mitte des Kreises gelegt und diese sollten dann den Gefangenen zugeordnet werden. Dies hat lange gedauert und fiel den Jugendlichen offensichtlich schwer. Wir haben gemeinsam mit ihnen Vermutungen angestellt. Hier wird sehr bewusst mit gesellschaftlichen Vorurteilen und „Wahrscheinlichkeiten“ gespielt, nicht zuletzt um den Jugendlichen einen Eindruck davon zu vermitteln, wie sie selbst möglicherweise von Außenstehenden wahrgenommen werden könnten („Junkie“, „Schläger“ etc.).



Anschließend erzählten die Gefangenen dann von ihren Straftaten. Sie waren sich einig darin, dass es keine „guten Gründe“ dafür gibt, ein Messer oder eine Schusswaffe mit sich zu führen. Die ursprünglich „guten Gründe“ für eine kriminelle Karriere verlieren jeglichen Wert, wenn das System der Strafverfolgung zugeschnappt hat. Geld, Autos, Status, Frauen, Drogen… niemand konnte davon etwas „mitnehmen“ oder hat die Hoffnung, dass später „draußen“ noch etwas auf einen wartet.



Die Gruppierungen der ehemaligen „Kollegen“ sind zerschlagen, alte Freunde weg, tot oder krank. Kinder wollen oft keinen Kontakt zu den inhaftierten Vätern, Beziehungen sind längst beendet oder Ehen geschieden.



Draußen wartet auf die wenigsten ein Leben, an das es sich anzuknüpfen lohnt.



Besonders hart ist es für Menschen ohne Bleiberecht, sie werden in ein (teils nur aus Urlauben bekanntes) „Heimatland“ abgeschoben. Eine vorherige Planung des zukünftigen Lebens ist dann unmöglich!



Als die Insassen ihre persönlichen Vorgeschichten erzählt haben, berichteten die Teilnehmer von ihren Straftaten. Die Gefangen haben darauf sehr empathisch reagiert und mit den Jugendlichen reflektiert wie es dazu kam, welche Gründe sie hatten und vor allem wie man sich zukünftig anders verhalten könnte.



Der Tag in der JVA war in jeder Hinsicht eindrucksvoll.



Wir sind überzeugt, dass die gesammelten Eindrücke noch lange in uns wie auch den Teilnehmern nachwirken werden und bereits etwas ausgelöst haben.



Manche Erfahrungen müssen leider selbst gemacht werden, um die Tragweite der Konsequenzen wirklich begreifen zu können. Der heutige Tag könnte eine solche Erfahrung sein.



Der Besuch der JVA ersetzt das eigene Erleben zwar nicht aber kann dazu beitragen, einzelne Handlungen oder Sichtweisen etwas kritischer zu betrachten als zuvor.