Ramy Azrak ist 43 Jahre alt und im Bonner Stadtteil Tannenbusch aufgewachsen, wo er heute auch wieder lebt. Er ist Diplom-Sportwissenschaftler, sowie Anti-Gewalt- und Deeskalationstrainer und leitet die Dr. Moroni-Stiftung für Integration und Bildung in Tannenbusch.  Für sein vorbildliches Engagement wurde ihm Ende 2021 der Bonner Integrationspreis verliehen. 

Herr Azrak, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Auszeichnung mit dem Integrationspreis. Was bedeutet Ihnen dieser? 

Ich empfinde große Freude über den Preis. Es ist ein weiterer Höhepunkt als Anerkennung für mein Schaffen in den letzten Jahren. Schon 2019 habe ich im Schloss Bellevue Herrn Steinmeier und Frau Merkel treffen dürfen, was für mich schon eine besondere Ehre war. Die Ehrungen zeigen, dass mein Engagement und mein Herzblut sich am Ende lohnen. 

 

Interview mit Ramy Azrak

Nun sind Sie seit 5 Jahren auch als Einzelfallhelfer für die Initiative „Kurve kriegen“ tätig. Wie kam es zu der Zusammenarbeit? 

Bevor ich als Einzelfallhelfer bei Kurve kriegen anfing, habe ich in Tannenbusch Gruppenangebote geleitet und Einzelfallhilfen betreut. Dadurch erreichte ich auf einen sehr niedrigschwelligen Weg die Jugendlichen des Stadtteils, vor allem über Sportangebote. Bei einem Stadtteil-Arbeitskreis bekam ich Kontakt zu einer Pädagogischen Fachkraft der Initiative. Der Standort Bonn suchte zu diesem Zeitpunkt aktiv nach einem Einzelfallhelfer im Stadtteil Tannenbusch. Die Aufgabe reizte mich, weil ich immer nach spannenden Herausforderungen suche. Ich bewarb mich, bekam den Zuschlag und empfinde nach wie vor große Freude an meiner Arbeit. 

Sie erwähnen gerade, dass Sie im Stadtteil Sportangebote unterbreiten, wie arbeiten Sie generell mit den Kindern und Jugendlichen der Initiative, was sind Ihre Methoden? 

Ich analysiere den zugeteilten Fall genau mit dem gesamten Umfeld, schaue, was zu dem Teilnehmer passt und bringe mich mit meinem Netzwerk ein. Eine meiner besonderen Stärken ist sicherlich die sozialraumorientierte Arbeit im sozialen Brennpunkt. Durch meine eigene Sozialisation kenne ich das Leben im Stadtteil mit besonderem Förderbedarf. Ich bin dort aufgewachsen und kenne die Probleme und besonderen Herausforderungen der Jugendlichen. In meiner eigenen Jugend war „meine Droge“ der Sport, der mich von den echten Drogen ferngehalten hat und für die Stärkung meiner Persönlichkeit geholfen hat. 

Darüber hinaus habe ich selber Migrationshintergrund und spreche arabisch. Andere Kulturen kenne ich nicht nur auf dem Papier, sondern aus der Erfahrung. Die kulturelle Vielfalt, in der ich aufgewachsen bin, hat mich enorm bereichert und gestärkt. Dieser Einfluss hat sicherlich auch dazu beigetragen, tatsächlich Trainer für Diversität und Interkulturalität zu werden. 

Dies alles erleichtert mir den Zugang zu den Jugendlichen und ihren Familien. Zwischen uns herrscht ein gutes Miteinander, geprägt von Vertrauen und Respekt. Aus meiner Sicht ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit mit den Jugendlichen, diese erst einmal so anzunehmen, wie sie sind und nicht gleich mit dem erhobenen Zeigefinger auf sie zuzugehen. Die Jugendlichen, die ich betreue, haben schon genug an Rückschlägen erleben müssen und kennen pädagogische Standpauken noch und nöcher. Die klare Trennung zwischen der Person und deren Verhalten macht es möglich, miteinander an den Defiziten arbeiten zu können und somit einen Veränderungswunsch zu entwickeln, um ihre vorhandenen Ressourcen zu wecken und auszubauen. 

Meine eigene Arbeit im Rahmen der Initiative sehe ich allerdings nur als einen Baustein im System. Das Zusammenspiel des gesamten Netzwerks um den Jugendlichen herum spielt eine große Rolle. 

Interview mit Ramy Azrak

Sie sind ausgezeichnet in Bonn vernetzt, wie können Sie das für „Kurve kriegen“ nutzen?

Insbesondere im Bereich Sport versuche ich passgenaue – auf die Interessen des Jugendlichen zugeschnittene - Angebote zu finden. Ich vermittle sie in Vereine, von denen ich weiß, dass diese eine gute Jugendarbeit, mit einem guten pädagogischen Konzept, machen. Bei schulischen Problemen unterstütze ich zum Beispiel mit dem Angebot der Dr. Moroni Stiftung, die unter anderem Hausaufgabenhilfen anbietet. Ich stelle persönliche Kontakte her. Diese Hilfen können auch noch über die Dauer der Teilnahme an der Initiative hinausgehen. 

Was motiviert Sie, mit straffällig gewordenen Kindern und Jugendlichen zur arbeiten?

Eine große Motivation sind die eigenen Erfahrungen in der Kindheit und Jugend. Ich kann mich in die Jugendlichen gut hineinversetzen, auch mir wurde damals oft weniger zugetraut. Mein Selbstbewusstsein wurde damals unter anderem durch zwei Lehrkräfte geschwächt. Ich musste in meinem schulischen Werdegang auch großen Widerständen trotzen, um mein Abitur zu schaffen. Diese Erfahrungen haben mich stärker gemacht und mich motiviert, es besser machen.

Manchmal fühle ich mich als Anwalt für die Jugendlichen. Schon früh hatte ich das Gefühl, Kinder glücklich machen zu wollen und zu helfen. Aus meiner Sicht benötigen Menschen, die Scheitern gewohnt sind, sehr viel Stärkung. Bei Kurve kriegen schauen wir gemeinsam hin, warum jemand so handelt, wie er handelt und gehen das Problem an. Ich folge ganz dem Sportleransatz, dass jeder Potenziale hat und jeder etwas kann. 

Gab es in Ihrer Jugend Menschen, die für Sie Vorbilder waren? 

Ich hatte einen ganz tollen Deutschlehrer, der brachte mich trotz des „Commodore 64“ zum Lesen. Auch mein älterer Bruder Husam hat mich sehr unterstützt und motiviert. Grundsätzlich können wir überall Menschen begegnen, von denen wir lernen können und für unsere Weiterentwicklung profitieren. Aber konkret in meinem Stadtteil hätte ich mir damals schon jemanden auf dem Sportplatz gewünscht, der das gemacht hätte, was ich tue. Heute versuche ich, so ein Vorbild zu sein. 

Wovon profitieren die Kinder und Jugendlichen aus Ihrer Sicht von der Initiative? 

Ich kann mich sehr intensiv mit einem Menschen beschäftigen und so unter die Spitze des Eisbergs schauen. Generell bin ich sehr frei in meiner Arbeit mit den Jugendlichen, wenig restriktiv. So kann ich gut auf die individuellen Bedürfnisse eingehen. Ich stimme mich mit den Pädagogischen Fachkräften ab und tausche mich regelmäßig aus. Das hilft mir. Ich weiß zeitnah über Fehltritte Bescheid und kann direkt mit dem Jugendlichen daran arbeiten. 

Wo sehen Sie die Stärken von „Kurve kriegen“? 

Kurve kriegen ist für mich wie eine Art „Black Story“. Ich sammle Informationen und versuche nach und nach den Jugendlichen und sein Handeln besser zu verstehen, um ihn auf einen alternativen Weg zu begleiten. Durch die kriminalpräventive Orientierung ist der Erfolg meiner Arbeit objektiv messbar, auch wenn natürlich viele Faktoren im Umfeld des Jugendlichen eine Rolle spielen.

Die Arbeit bei der Initiative basiert auf Vertrauen und Respekt, nicht nur zwischen den Jugendlichen und mir, sondern auch zwischen den Pädagogischen Fachkräften und meiner Arbeit. Eine besondere Stärke ist, dass Personen mit verschiedenen Ansichten, Erfahrungen und individuellen Profilen als Helfer für Kurve kriegen eingesetzt werden und nicht ausschließlich „klassische Pädagogen“. Als Sportwissenschaftler kann ich andere Perspektiven und Ressourcen einbringen. 

Gibt es noch etwas, was Sie mitteilen möchten oder der Initiative wünschen? 

Dadurch, dass Kurve kriegen seit fünf Jahren in meiner Vita steht, entsteht ein hoher Qualitätsanspruch an meine Arbeit, dem ich immer gerecht werden möchte. Ich bin stolz darauf, Teil der Initiative zu sein.

Ich wünsche mir, dass die Initiative weiterhin den Weitblick beibehält, den sie jetzt hat. Die Pädagogischen Fachkräfte können in ihrer Arbeit durch Menschen, die in anderen Bereichen qualifiziert sind, profitieren. Menschen mit speziellen Expertisen und Lebenserfahrungen können die Arbeit mit den Jugendlichen und deren Eltern gewinnbringend ergänzen. 

 

Das Interview führten Svenja Kamphausen und Gregor Winand, Pädagogische Fachkräfte der Initiative Kurve kriegen am Standort Bonn.