Ein Beitrag von Prof. Dr. Menno Baumann
Gerade in unruhigen Zeiten sind Fake-News über Kinder- und Jugendkriminalität immer ein beliebtes mediales Thema für die ganz großen Schlagzeilen und politisch für das Dreschen von Phrasen. Immer wieder schwappt es auf, egal, wie sich das Thema real entwickelt. Und dieser Trend ist leider wieder einmal aktueller denn je…
Dabei ist es in Deutschland gelungen, gerade die Situation von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten deutlich zu verbessern und dadurch auch Kriminalität in dieser Altersgruppe deutlich zu senken. Wenn die Entwicklung auch wellenförmig verläuft. Aber wenn wir wollen, dass Jugendliche die Kurve kriegen, sollten wir als Erwachsene doch Kurs halten. Und zwar Kurs halten, auf das, was in den letzten Jahren gut funktioniert hat, anstatt immer wieder nach neuen Maßnahmen zu rufen, die sich international bereits lange als wirkungslos, zuweilen sogar kontraproduktiv erwiesen haben!

Das Programm „Kurve Kriegen“ war mir und meinem Forschungsteam „Interdisziplinäre Gewaltforschung“ am Forschungsinstitut der Fliedner-Fachhochschule Düsseldorf in den letzten drei Jahren ein wichtiger Praxis-Forschungspartner. Da die Kollegen und Kolleginnen sowohl der Polizei als auch der Sozialen Arbeit sehr nah dran sind an den jungen Menschen, ihren Lebenssituationen, Biografien aber auch an ihren kriminellen Aktivitäten, konnten wir mit ihrer Unterstützung einen wesentlichen Teil unseres Datensatzes für unser Forschungsprojekt „Dynamiken gewaltbereiter Jugendgruppen in Deutschland“ erheben, das wir gerade abgeschlossen haben. Wie wichtig Projekte wie „Kurve Kriegen“ für die Intervention bei Jugendkriminalität sind, zeigt sich allein daran, dass wir gerade auch sehr wertvolle und international kaum verfügbare Einblicke gewinnen konnten, wie sich ehemals hoch aktive Gruppen wieder beruhigt oder aufgelöst haben – denn genau diese Wirkung wird im Projekt eben vielerorts auch erzielt und die jungen Menschen noch darüber hinaus begleitet!
Zum Ergebnis in Kurzform:
Stellt man mir also jetzt die Frage: Hat Deutschland ein Problem mit „Jugendgangs“? – dann antworte ich darauf: Das kommt darauf an, wie Sie Ihren Blickwinkel einstellen!
Im Zeitverlauf kann man sagen: Aktuell eher nicht so sehr, die Situation war in der Vergangenheit schon deutlich kritischer. Schaut man international, so stehen wir ebenfalls deutlich besser da als viele vergleichbare Länder in Europa – darüber hinaus sowieso. Schaut man aber auf die Straße und in die Stadtteile, wo akut solche Gruppen bestehen und agieren, und schaut man auf die Konsequenzen vor allem für Kinder und Jugendliche, die dort leben und nicht Mitglied, sondern eher Opfer dieser Gruppen sind, dann haben wir in diesen Hotspots natürlich erhebliche Probleme, die man nicht runterspielen darf. Deshalb ist es wichtig, dass gute Praxisprojekte und Wissenschaft eng zusammenarbeiten und aus den Erfahrungen, die in effektiven Projekten gesammelt werden, lernen, diese verdichten und unser Handlungsspektrum für polizeiliches, sozialarbeiterisches und sozialräumliches Handeln erweitern.
Der Weg, die Kooperation aus Ermittlungsbehörden, Sozialer Arbeit und Bildungsprojekten zu stärken, zu konzeptualisieren und auf eine langfristige solide ausgestattete Basis zu stellen ist dabei einer der Wege, die sich klar als wirksam erwiesen haben – und deshalb ist der eindeutige politische Appell aus der Gewaltforschung (und da spreche ich in völligem Konsens mit nahezu allen Kollegen und Kolleginnen aus diesem Forschungsfeld): Bleiben WIR auf Kurs, fördern wir solche Projekte – damit junge Menschen die Kurve kriegen. Denn die Verhinderung krimineller Karrieren, schwerer Straftaten und damit von mehr Opfern sollte unser wichtigstes Ziel in diesem Bereich sein, und nicht das Erhaschen von Social-Media-Herzchen für immer lautere Forderungen. Jugendliche brauchen Erwachsene, die das Steuer in der Hand halten und sich nicht durch jedes Rauschen im (medialen) Blätterwald in Schlingern bringen lassen!
Ich danke „Kurve Kriegen“ für die hervorragende Kooperation und wünsche weiterhin eine gute Entwicklung als wichtiger Baustein effektiver Kriminalitätsprävention in NRW und als Modell für viele weitere Projekte deutschlandweit!